Diese Frage höre ich immer wieder. Unablässig. Fast wie ein Mantra, das sich Betroffene selbst vorsagen: Bin ich schuld? Liegt es an mir?
Und genau das ist das perfide Muster: Menschen, die unter Mobbing oder Bossing leiden, neigen zu extremer Selbstreflexion. Während sie sich selbst unaufhörlich hinterfragen, stellen sich die Täter in eine scheinbar makellose Opferrolle. Paradox, oder?
Täter-Opfer-Umkehr: Die perfide Dynamik
Studien zeigen, dass Opfer von Mobbing häufig mit massiven Schuldgefühlen kämpfen und glauben, selbst die Ursache für die Attacken zu sein. Dieser innere Dialog „Liegt es an mir?“ führt zu einer gefährlichen Abwärtsspirale. Täter dagegen inszenieren sich oft geschickt als diejenigen, die „sich nur wehren mussten“ oder „gar nichts dafür können“. Hier liegt eine klassische Täter-Opfer-Umkehr vor, die Betroffene zermürbt.
Und als wäre das nicht genug, wird auch in therapeutischen Kontexten häufig der sogenannte Eigenanteil betont. Natürlich gibt es in jedem Konflikt unterschiedliche Wahrnehmungen, aber in hochtoxischen Strukturen wird daraus ein pathologischer Selbstzweifel. Und Opfer werden quasi aufgefordert, sich selbst zu verändern. Als könnte das wie durch Zauberhand alle toxischen Strukturen beseitigen. Was für eine Farce und welch künstliche Beschämung für die Opfer.
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Wie erkenne ich, ob wirklich ich „schuld“ bin?
Die entscheidende Frage ist nicht, bin ich schuld, sondern: Welche Strukturen begünstigen diesen Selbstzweifel? Hier sieben deutliche Warnsignale:
1) Dauerhafte Selbstzweifel
Wenn du dich ständig fragst „Liegt es an mir?“, ist das ein klares Alarmzeichen. Gesunde Umfelder ermöglichen Klärung auf Augenhöhe. Toxische Systeme nähren den Zweifel an dir selbst systematisch.
2) Abkehr der Kollegen
Plötzlich gehen Kolleg:innen auf Distanz, ohne erkennbaren Grund. Sehr häufig wurden sie „informell“ von Vorgesetzten „gewarnt“. Das ist nicht nur toxisch, sondern auch ein Verstoß gegen Datenschutzrichtlinien wie die DSGVO. Es ist oft nur der Beginn eines orchestrierten „Bollwerks“ gegen dich.
3) Parasitäres Verhalten
Du erarbeitest Ergebnisse, doch jemand anderes kassiert das Lob. Das geschieht selten zufällig. Hinter solchen Strukturen steckt oft ein Netzwerk aus Mitwissern und/oder sogar mehreren Führungskräften, die bewusst deine Leistung verschleiern.
4) Subtile Diskriminierung
Diskriminierung geschieht selten offen. Sie kommt schleichend: über Alter, Geschlecht oder andere Merkmale. Opfer zweifeln anfangs: „Bin ich schuld, dass ich so wahrgenommen werde?“ Doch die Wahrheit ist: Diskriminierung ist nie dein Anteil. Es ist immer eine gezielte Methode der Abwertung und Kontrolle, die verdeckt und ebenfalls orchestriert läuft. Meist dient es dazu, denjenigen/diejenige auf „saubere Art und Weise“ loszuwerden.
5) Entzug von Kompetenzen
Dein Chef nimmt dir willkürlich Aufgaben weg – ohne Begründung, einfach so. Das ist kein Missverständnis, sondern eine Machtdemonstration. Würde es ein echtes Problem geben, könnte er es auf Augenhöhe besprechen. Tut er das nicht, ist es ein aktiver Akt der Abwertung und des Kleinhaltens. Und nein – du täuschst dich nicht. Es ist hochgradig anormal und sollte dir zu denken geben.
6) Schlaflosigkeit und Hypervigilanz
Dein Körper reagiert. Du schläfst schlecht, bist permanent angespannt. Natürlich gibt es Konflikte in jedem Job. Aber: Konflikte auf Augenhöhe können gelöst werden. Doch wenn die Frage „Liegt es an mir?“ dich bis in die Nacht verfolgt, haben verdeckte Machtspiele dein Nervensystem längst auf toxische Dauerbelastung umgeschaltet.
7) Erschöpfung und Zwang
Wenn du nur noch unter Zwang zur Arbeit gehst, ist es höchste Zeit zu handeln. Denn hier bezahlst du schon viel mehr, als du jemals verdienen kannst: Gesundheitliche Folgeschäden, immense Reha-Kosten und oft sogar Repressalien bzw. Reputationsschäden weit über Unternehmensgrenzen hinaus.
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Warum Opfer so oft zweifeln
Psychologische Untersuchungen belegen, dass gerade sensible, reflektierte Menschen besonders anfällig für Selbstbeschuldigung sind. Sie fragen sich automatisch: Bin ich schuld? Habe ich etwas falsch gemacht? Täter nutzen das aus. Denn wer sich ständig in Frage stellt, wehrt sich seltener.
Fazit: Die Schuldfrage neu stellen
Die Frage sollte nie lauten: „Liegt es an mir?“ oder „Bin ich schuld?“
Die richtige Frage lautet: Welche Strukturen nähren toxisches Verhalten – und wie kann ich mich davor schützen?
👉 Sei es dir selbst wert: Schiebe die Verantwortung nicht auf dich. Toxische Systeme sind stärker, als eine einzelne Person sie je auch nur im Ansatz verändern könnte. Aber du kannst dich entscheiden, sie zu verlassen, dich zu schützen und deine Energie in gesunde Umfelder zu investieren.
Merke: Wenn du dich immer wieder fragst „Bin ich schuld?“ – ist die Antwort mit hoher Wahrscheinlichkeit: Nein. Du bist nicht das Problem. Die Struktur ist es.
🔗 Weiterführend:
1) Forschung: Opfer neigen oft zu Selbstbeschuldigung
- Schacter et al. (Open Access, Peer-Review): Zeigt, dass Mobbing-Opfer zu characterological self-blame tendieren (→ schlechtere Outcomes & fortgesetzte Viktimisierung).
👉 Formulierung: „Studien zeigen: Opfer neigen häufig zur Selbstbeschuldigung – besonders wenn die Ursache intern zugeschrieben wird.“
Link: https://pmc.ncbi.nlm.nih.gov/articles/PMC4446188/ - University of Manchester (offizielle News): Überblick zu negativen Effekten von Mobbing auf die mentale Gesundheit Jugendlicher.
👉 Formulierung: „Forscher:innen der University of Manchester belegen die deutlichen psychischen Folgen von Mobbing.“
Link: https://www.manchester.ac.uk/about/news/bullying-impacts-teenage-mental-health/ - „Did I bring it on myself?“ (Open Access): Qualitative Hinweise auf Selbstbeschuldigung bei Betroffenen.
👉 Formulierung: „Betroffene stellen sich häufig die Frage: Habe ich es selbst verschuldet?“
Link: https://pmc.ncbi.nlm.nih.gov/articles/PMC5233729/
2) EU-OSHA: „Bullying/Harassment at Work“
- EU-OSHA Factsheet 23 – Bullying at Work: Kompakter Einstieg der EU-Arbeitsschutzagentur.
👉 Ankertext im Artikel: „European Agency for Safety and Health at Work – Bullying at Work (Factsheet).“
Link: https://osha.europa.eu/en/publications/factsheet-23-bullying-work - EU-OSHA OSHwiki – Harassment at Work: Definitions- & Zahlenüberblick (EU-OSHA-Wissensplattform).
👉 Ankertext: „EU-OSHA OSHwiki – Harassment at Work.“
Link: https://oshwiki.osha.europa.eu/en/themes/harassment-work






